von Ruth Weiss
“….da muss doch was dran sein”, sagte eine Frau zu mir am Ende einer Veranstaltung über die Nazizeit. Unschwer zu erraten was genau sie meinte: der Antisemitismus musste doch irgendwie „berechtigt“ sein?
In der jüngsten Zeit, in der Fremdenfeindlichkeit und auch Antisemitismus einen Aufschwung erleben – selbst unter denjenigen, die nie einen Juden kennen gelernt haben – ist diese Fragestellung allein schon beängstigend. Ich habe ja des öfteren in Gesprächen mit Menschen, die solche Ueberlegungen anstellen, allein auf die Zahlen verwiesen : 15 Millionen Juden weltweit als eine verschwindende Minorität unter der 7 Milliarden der ganzen Menschheit (von denen im übrigen 2,4 Milliarden Christen und 1,8 Milliarden Muslime sind). Wie wäre es dieser Handvoll Millionen möglich die überwältigende Mehrheit von Milliarden Menschen zu beherrschen? Oder wie könnte die Angst des Herrn Hitler begründet gewesen sein, der zu seiner Zeit behauptete, die Juden seien Deutschlands Unglück – wenn sie doch 1914 weniger als 1% der gesamtdeutschen Bevölkerung von 68 Millionen ausmachten?
Akademiker haben sich selbstveständlich mit vielen weiteren Aspekten der Frage beschäftigt. Und da ich bereits mehrmals gefragt wurde, warum die Familie der Löws in meiner Familiensaga Bankiers waren, suchte ich nun selbst nach Antwort auf die Frage, ob Juden wirklich das Bankwesen zu Hitlers Zeit dominierten und damals ähnlichen Vorurteilen Auftrieb geben konnten.
Mein Suchen wurde belohnt: Ich fand eine Studie „The German-Jewish Economic Elite – die Deutsch-Jüdische Wirtschaftselite (1900-1933)“ – ein Beitrag von Paul Windolf über führende Juden in der deutschen Wirtschaft, in der Zeitschrift fuer Unternehmensgeschichte 56 (2011), pp. 135-162. Professor Windolf, Soziologe an der Universität Trier, beschrieb “eine enge Vernetzung unter den großen deutschen Unternehmen”. Etwa 16% von diesen hatten einen jüdischen Hintergrund. Unter den “Großen im Kern des Netzwerks“ waren es 25% mit jüdischem Hintergrund.
Da dies prozentual über die zahlenmässige Repräsentation der Juden in der Gesamtbevölkerung hinausging, untersuchte die Studie, welchen relativen Vorteil Juden besassen, der ihnen erlaubte diese Position zu erreichen. Und sie verwarf drei überkommene Thesen: dass etwa Juden (die durch alle Jahrhunderte Alphabeten waren) eine bessere Bildung als der Durchschnittsdeutsche genössen; oder aus dem Grunde, dass sie als Bankiers und Finanziers tätig waren; oder weil sie untereinander eng vernetzt waren, unabhängig von der Unterehmensvernetzung.
In der Tat konnten die erhobenen Daten der Studie diese Thesen nicht unterstützen. Es konnte nicht belegt werden, dass der unternehmerische Erfolg der Juden an einer besseren Erziehung lag, in ihrem eigenen Netzwerk zu suchen sei, oder darin dass unter ihnen Bankiers seien.
In der Studie wurde zwar bestätigt, dass Bankierfamilien wie etwa die Warburgs in Hamburg or Rothschilds in Frankfurt von Hofjuden gegründet worden und über Generationen im Bankwesen tätig waren. Ihre Fähigkeiten waren somit bereits im ausgehenden Mittelalter bekannt und über lange Zeit weitergegeben worden. Es war auch korrekt, dass diese Familien oft in diesen Kreisen Ehepartner suchten, was eine vorteilhafte Mitgift erbrachte die zum Kapital beitrug sowie zu internationalen Beziehungen. Genau wie ‚meine Loews‘! Und wie diese finanzierten sie Eisenbahnlinien, organisierten internationale Anleihen und unterstützten so die Industrialisierung.
Dennoch verdankten sie nicht diesen Umständen ihren unternehmerischen Erfolg, wie die Studie in mehreren Schritten erforschte.
Die Studie erwähnt mehrere Beispiele der Ehen innerhalb der Bankiersklasse:
Jacob Schiff der Kuhn & Loeb Investment Bank war mit der Salomon Loeb family verwandt, dessen Sohn ein Tochter des Sigmund Neustadt der Investment Bank Hallgarten & Co. ehelichtete. Paul Warburg heiratete ebenfalls eine Tochter des Salomon Loeb, während Felix Warburg eine Tochter des Jacob Schiff heiratete – Es stimmte, dass Juden 8.6% der Studenten an Preussischen Unis 1886/7 betrugen, obwohl Juden 1885 nur 1.3% der damaligen Preussischen Bevälkerung waren. Die großen Gesellschaften bezogen ihre qualifizierten Angestellten aus der Gesamtzahl der Absolventen.
Die Studie untersuchte das Banken Netzwerk sowie das der großen von Aktionären kontrollierten Großunternehmen sowie großer Gesellschaften in Familienbesitz:
Das erlaubte den Akademikern, die Anzahl der jährlichen Treffen zu ermitteln, welche die gemeinsam führenden Mitglieder der Aufsichtsräte großer Unternehmen und Gesellschaften zusammen brachte. So waren 1914 Eugen Gutmann und Oscar Oliven beide Direktoren von sechs unterschiedlichen Firmen, während Carl Fürstenberg und Emil Rathenau gleichzeitig in acht Aufsichsichtsräten dienten. Paul Silverberg, der prominenteste Jude der leitenden Industriellen war Direktor in 25 Gesellschaften und traf jährlich regelmäßig mit 171 anderen zusammen. Dieser Teil der Studie belegt die Integration der Nicht-Juden und Juden in dem dichten körperschaftlichen Netzwerk.
Auch die Struktur des Netzwerks wurden in Bezug auf die Herkunft ihrer Mitglieder untersucht – Erziehung, Jüdische Herkunft, Aristokratie, Ehrentitel wie ‚Kommerzienrat‘ und Bankiersberuf:
Waren im Jahr 1914 noch Adel, Ehrentitel, Bankierhintergrund maßgebend, änderte sich das Bild bis 1928, als die generelle interne Vernetzung der Unternehmerschaft wichtiger wurde, um zum Kern der deutschen Grossunternehmen zu gehören. Zu diesem Zeitpunkt waren Juden ‚übervertreten‘, wobei die Studie auch belegt, dass sie dies ihren Stellungen in Großunternehmen verdankten und nicht ihrer Erziehung oder einer Bankierstätigkeit. Diese Gruppe wurde im übrigen sofort nach 1933 ausgeschaltet.
Das Unternehmens-Netzwerk bestand damals aus 398 Personen, von denen 98 Juden waren. Ein einzelner Jude hatte im Durchschnitt 35.1 Bindungen mit anderen jüdischen Mitgliedern, während die 300 14,694 mit einander hatten, also im Durchschnitt with 48.7 pro Person. So hatten im Jahr 1928 Juden im Durchschnitt 60.4 Bindungen mit Nicht-Juden und 188 der Nicht-Juden im Durschnitt 19.7 mit Juden. Die Netzwerke waren also völlig miteinander integriert, wie auch andere Statistiken zeigten. Die Juden waren demnach nicht eine separat vernetzte Elite innerhalb der Wirtschaft, die daraus komparativen Vorteil gezogen hätte, sondern sie waren innerhalb der deutschen Wirtschaftselite vernetzt und integriert.
Daraus zog die Studie den Schluss, dass der Erfolg der Personen nicht an ihrem “Judentum” lag, vielmehr waren sozialwirtschaftliche Situationsvariablen verantwortlich (menschliches Kapital, Einbettung).
Es wurde vorgeschlagen, die Spurensuche in einer erweiterten Studie fortzusetzen, die neben den formellen Strukturen und Bildungsmöglichkeiten weitere soziologische und historische Entwicklungen berücksichtigt. Nur so liesse sich die gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung der jüdischen Bevölkerung angemessen einordnen – etwa der Stellenwert von Familienbeziehungen angesichts der jahrhundertlangen Erfahrung der Juden in der Diaspora.
Das Leben im Bewusstsein der historischen Diskriminierung, die in der Vergangenheit immer wieder mit der Verfolgung und Ausrottung ganzer Gemeinden durch Progrome und Massaker einherging, ist sicher ein starkes Motiv und Ansporn, um gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erfolg zu erarbeiten. Einleuchtend!
Auch wenn ich Zweifel habe, dass Studien allein, wie seriös und aufschlussreich sie auch immer sein mögen, Antisemiten überzeugen können, dass die Leistungen von Juden in ihrem persönlichen Einsatz, Ehrgeiz, ihren Fähigkeiten und wie in vielen anderen Diasporagemeinschaften in der Unterstützung durch ihre Familien begründet sind.
Aber man denke nur an die Armutsemigranten aus Europa in Amerika – als Strassenarbeiter oder Hausierer angekommern, ohne einen Pfennig, ohne Ausbildung und ohne Kenntnis der Lokalsprache – trotzdem haben einige es durch harte Arbeit auch zu Wohlstand, ja zu ‚Königen der Supermarktketten‘ gebracht. Ohne Verschwörung oder Ansinnen von Weltbeherrschung!