Eine Kurzgeschichte von Ruth Weiss (2013) – Prolog R. Schäfer
Auch Anfang 2025 – 45 Jahre nach der politischen Unabhängigkeit – zeigt sich: Die Bürgerinnen und Bürger Simbabwes müssen viele Alltagsbelastungen bewältigen, die durch die marode Infrastruktur bedingt sind. Massive Korruption führte dazu, dass Strom- und Wasserversorgung immer wieder zusammenbrechen. Seit einigen Wochen ist sogar das Trinkwasser in Harare mit Keimen belastet.
Doch wie sein Vorgänger Robert Mugabe setzt Präsident Emmerson Mnangagwa nur auf Repression, Gewalt und Schikanen, anstatt die Strukturprobleme zu lösen, die die Wirtschaft lähmen und die Gesundheit der Menschen gefährden. Deshalb sind diese 2013 von Ruth Weiss verfaßten Alltagsimpressionen weiterhin aufschlussreich.
Besuch bei Mbuya oder Zimbabwe heute (2013)
Amos Kgugi freute sich, Amai (seine Mutter) nach einem dreijährigen Aufenthalt in Berlin besuchen zu können. Am ersten Tag zu Hause ging er vom Badezimmer in die Küche, ein Handtuch um die Hüften gewickelt, um zu fragen, warum kein Wasser aus der Dusche kam.
Zu seinem Erstaunen hantierte Amai Amos am Küchentisch mit einem Bündel US-Dollarscheinen und einem Haufen Umschlägen, in die sie Dollarnoten steckte und danach beschriftete.
„Amai! Was machst du?”
Sie blickte nicht auf, denn sie zählte gerade etwas.
„Wir wollen doch später zu deiner Mbuya (Großmutter) fahren,“ antwortete sie schließlich.
„Ja, aber – warum bringst du ihr so viele Umschläge mit Dollar?“ wollte Amos wissen.
Amai Amos schnalzte ungeduldig mit der Zunge.
„Junge, das ist nicht für Mbuyu. Für sie hab ich schon etwas beiseite gelegt.“
Amos sah, wie seine Mutter Nr. 7a auf den letzten Umschlag schrieb, ehe sie ihn zuklebte.
„7a?“ fragte er verwundert.
„Ja, ich denke, mehr werden es nicht sein. Hm. Oder vielleicht doch?”
Sie nahm einen weiteren Umschlag und begann wieder, Dollarnoten hinein zu stopfen und 8 darauf zu schreiben, ehe sie abermals einen neuen Umschlag hervorzog und diesen mit 8b beschriftete.
„So. Das sollte genügen,“ gab Amai Amos zu verstehen.
„Wofür?“ wollte Amos wissen.
“Für die Roadblocks. Wenn man angehalten wird. Spot fines. Damit sollen Löcher in den Straßen gestopft, ich meine, repariert werden,“ erklärte Amai geduldig.

„Ja – aber – wofür musst du Strafe zahlen? Ich meine, du weißt doch, dass dein Wagen in Ordnung ist oder nicht – Seitenlichter, Bremsen, Ersatzreifen und so.“ Amos begriff das nicht so richtig. „Und ich denke, dass du kaum zu schnell fahren wirst. Oder jemand illegal überholen würdest…“
„Klar, mein Wagen ist in Ordnung. Das weiß ich. Aber die Polizei weiß das nicht und meint, sie müsse das überprüfen. Ich hab mir jedenfalls ein System ausgedacht. Ich halte für jeden Roadblock zwei Umschläge bereit. Dann kann man schneller weiter fahren.“ „Warum zwei?“ Für Amos blieb das System schleierhaft.
„Es sind immer mehrere Polizisten im Einsatz. Übrigens, hast du mir einen Feuerlöscher mitgebracht, worum ich Dich gebeten hatte? Gut. Manchmal kommen die auf neue Ideen. Letzte Woche wollten sie in jedem Wagen die Feuerlöscher sehen. Wenn man so was nicht dabei hatte, musste man Strafe zahlen. Ist alles klar zu lesen? Gestern musste jemand Strafe zahlen, weil eine Aufschrift nicht lesbar war. Du – der ist hoffentlich nicht aus China? Den erkennen sie nicht an.“
“Warum nicht?”

“Weil man so etwas hier kaufen kann. Sie wollen etwas, das es hier nicht gibt. Dann können sie besser Strafen kassieren,“ erklärte Amai.
„Acht mal zwei Umschläge? Du meinst, wir werden achtmal angehalten? Mbuyas Dorf ist nur etwa 150 Kilometer von hier entfernt! Wenn wir achtmal angehalten werden, heißt das, dass wir alle 20 Kilometer …“
Amai steckte die Umschläge in ihre große Reisetasche. „Deswegen weiß Mbuya, dass wir ankommen, wenn wir da sind. So, jetzt gib mir mal die Pakete Kerzen aus der Schublade.“
„Kerzen? Mbuya hat Elektrizität!“
„Aber die Elektrizitätsgesellschaft nicht. Die haben auch finanzielle Probleme. Die Führungsschicht kann ihre Schulden nicht zahlen, heißt es; über `ne Million, der Präsident und seine Familie, die armen, die sind mit über 300.000 US$ für ihre Farmgeschäfte im Rückstand. Wer Glück hat, ist nachts wach, wenn manchmal zufällig der Strom kommt. Dann kann man die Waschmaschine anstellen.“
Kopfschüttelnd öffnete Amos eine Schublade, wobei zahlreiche Süßigkeiten auf den Boden rollten. Während er alles aufhob, sagte er: „Ich wusste nicht, dass du so gern Kaugummi und diese giftgrünen Bonbons magst.“
„Was?” Amai Amos war dabei, die Kerzen einzupacken, die sie aus einer anderen Schublade geholt hatte. „Ach, die will doch niemand essen. Das ist Kleingeld. Du weißt doch, wegen dem US-Dollar. Es gibt keine Cents als Wechselgeld. Nur Süßigkeiten.”
Nein, damit hatte Amos nicht gerechnet. Auch wenn er wusste, dass der Zim$ abgeschafft und der US$ eingeführt worden war – wegen der Hyperinflation und so.

Er wollte gerade fragen, was mit dem Wasser war, als Amai Amos in anstarrte und sagte: „Du bist noch nicht angezogen. Hast du die kleine Kanne mit Wasser nicht gesehen? Damit kannst Du Dein Gesicht waschen und die Zähne putzen. Mehr gibt’s heute früh nicht. Wasser ist augenblicklich knapp. Vielleicht gibt’s im Dorf Wasser.“
Amos kam zurück in die Küche, wo eine Tasse Tee auf ihn wartete. Amai sprang auf und rief: “Oh, ich hab noch was vergessen.“
Amos wusste, dass Amai bereits einen Koffer gepackt und Nahrungsmittel für Mbuya dabei hatte. Deshalb war er erstaunt, was sie einpackte: frische Wäsche, warmer Schal, Verbandsachen, Toilettenpapier, dazu Orangen, Schokolade, Käse und einen Laib Brot.
„Kommt noch jemand mit?“ wollte Amos wissen.
„Nein, nein – aber aus Versehen beleidigt man den Präsidenten und bevor man sorry sagen kann, sitzt man hinter Gittern. Ohne alles,“ gab Amai Amos zu bedenken.
Als alles verstaut war, zerrte Amai Amos an einem Brett. Amos schob sie beiseite, richtete das Brett auf und lehnte es gegen die Mauer. „Was willst du mit dem Brett?“
„Wir müssen zur Tankstelle.“
Das schien Amos keine Erklärung. „Soll ich vielleicht mit einem Brett zahlen?“
„Bist ein Komiker oder was? Nein. Dort ist ein Rohr geplatzt, das ist echt eklig – stinkt wie die Pest – da leg ich lieber das Brett drüber. Letzte Woche als ich tankte, bin ich fast ausgerutscht.“
„Letzte Woche? Dann haben sie das inzwischen längst repariert.“
Amai stemmte ihre Hände in die Hüften und lachte. „Das hier ist Mugabe-Land***. Was denkst du denn, wo du bist? In Berlin vielleicht?“
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*Mbuya – Großmutter
**Amai – Mutter
***Robert Mugabe, bis 2017 autokratischer Präsident Zimbabwes; vgl Ruth Weiss ‚Zimbabwes Diktator‘ Neuauflage RWG 2021 : https://ruth-weiss-gesellschaft.de/zimbabwes-diktator/