Von Ruth Weiss
Der 8. Mai 1945 – die bedingungslose Kapitulation, Besetzung und Teilung Deutschlands in Besatzungszonen.
In Südafrika erlebte man das aus ‚zweiter Hand‘ – durch eine amerikanische Reportage über ein Trümmerland. Menschenschlangen, die versuchen zurecht zu kommen. Einige die Trümmer der Häuser durchsuchen. Kinder, beladen mit Rucksäcken, die einherlaufen neben Karren, vollbepackt mit Waren und einigen Alten. Amerikaner, die Deutsche anhalten und durchsuchen; andere, die in Büros Menschen verhören.
Europas Krieg war weit entfernt
Jener Tag war ein Dienstag. Für die Mehrheit der Südafrikaner ein Tag wie jeder andere, denn trotz der Kriegserklärung gegen Deutschland und den Kämpfen auch südafrikanischer Streitkräfte gegen Rommel in Nordafrika, war der Zweite Weltkrieg nicht täglich präsent in diesem Land. Europas Krieg war weit entfernt.
Die Kriegsberichterstattung war kein tägliches Medienthema. Nicht jeder Südafrikaner wusste, dass Deutsche und politische Gegner der Kriegserklärung interniert worden waren. Auch nicht, dass es zwei Lager gab – für Nazis und für Anti-Nazis.
Jüdische Flüchtlinge ‚friendly enemy aliens‘
Dr. Hans Oscar Simon, im Nazi-Jargon ein Halbjude, ein Rechtsanwalt aus Bonn, war damals der inoffizielle Sprecher der Emigranten in Südafrika. Unter anderem gründete er eine ehrenamtlich besetzte Flüchtlingsanlaufstelle, ‚Refugee Assistance Bureau‘, bei der ich als Teenager behilflich war. Ebenfalls war es Dr. Simon zu verdanken, dass kein jüdischer Emigrant als Deutscher inhaftiert worden war, wie das in Großbritannien geschah. Wie alle anderen bekam deswegen auch ich mit 16 Jahren einen Ausweis der mich als ‚friendly enemy alien‘ identifizierte.
Einer Gruppe von etwa 1 500 Flüchtlingen, die nicht in Palästina landen durften, erging es schlimmer: sie wurden per Schiff nach Mauritius verbracht, wo sie in Gefängnisse kamen, ihre Familien getrennt wurden und in Männer- und Frauenbaracken lebten. Der einzige auf der Insel wohnhafte Jude hatte die südafrikanische Jüdische Behörde alarmiert, die während der gesamten Kriegszeit die Gefangenen unterstützte – wohl ohne dies den Gemeinden mitzuteilen. Eine der unendlich vielen Geschichten die langsam durch die Jahrzehnte bekannt wurden – dank Zeitzeugenberichten, Biographien, Historikern
(und der Reise der Journalistin Ruth Weiss zur Unabhängigkeit von Mauritius 1968 AnmdR).
Nach der Auswanderung versiegten die Informationen
Vom Konzentrationslager Dachau für politische Gefangene hatten wir im März 1933 gehört. Nach unserer Auswanderung 1936 versiegten die Nachrichten, wir erfuhren nichts über die Lager Sachsenhausen und Buchenwald. Südafrika hatte die Immigration jüdischer Flüchtlinge durch den “Aliens Act” nach 1936 – mit wenigen Ausnahmen – zum Stillstand gebracht. Die National Party, die 1948 mit der ‚Apartheid‘ Parole die Wahl gewann und in den 30er Jahren noch die Opposition bildete, hatte darauf bestanden. Viele Afrikaaner (Nachkommen der Buren) waren pro-Nazi, Organisationen wie Louis Weichardts „Grauhemden“ und die pro-Nazi Ossewabrandwag waren offen antisemitisch.
Unglaubliche, entsetzliche Nachrichten über Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung Europas
Plötzlich wurden wir mit der Realität konfrontiert! Wir erfuhren, was geschehen war. Doch es dauerte etwas bis der entsetzliche Horror von Auschwitz wirklich verstanden wurde – kein Wunder, daß während des Krieges jüdische Vertretungen in Grossbritannien und den USA den Berichten nicht geglaubt hatten, war es doch genau das, unglaublich. Damals und noch heute…
Ein Ueberlebender berichtet in der Johannesburger Synagoge von der Vernichtung jüdischer Gemeinden
Nach dem 8.5.1945 dauerte es in Südafrika länger bis man erfuhr, dass die Familien in Deutschland ausgelöscht waren – bis ein Überlebender eintraf, der in einer Johannesburger Synagoge über die Ermordung aller Juden eines Stetls berichtete. Die Mehrheit der Anwesenden stammten aus diesem Ort oder ähnlichen Stetl.
Das Klagen war über mehrere Straßen zu hören…
Sofort nach Ende des Krieges meldeten sich auch aus Südafrika Juden, um in ‚Displaced Persons‘ Lagern in Europa mit Überlebenden zu arbeiten. Hans Weiss* erfuhr erst drei Jahre nach dem Krieg, dass seine alten Eltern überlebt hatten und flog nach Deutschland um sie zu besuchen. Nur wenige Jahre später kam ich dadurch und durch Hans Weiss` Berichterstattung für die damals neuen Medien nach Deutschland und erfuhr, wie das Land aussah. In Stuttgart traf ich einen Taxifahrer, mein erster Interview-Partner, der mir vom Leben und Tod in einem KZ berichtete.
Der 8.5. Das Ende einer Epoche. Der Anfang der Erkenntnis des Verschweigens. Doch nicht des Verständnisses. Das fehlt noch immer.
* Ruth Weiss‘ späterer Ehemann /AnmdR