von Ruth Weiss
Ich habe nie ein Geburtstagsbuch geführt. Doch ich kannte die Geburtstage einiger Familienmitglieder und FreundInnen und meldete mich bei ihnen an ihren Ehrentagen. Nadine Gordimer (1923-2014) gehörte dazu. Ich wusste, dass ihre Familie und ihr großer Freundeskreis auch an sie dachten und sie feierten. Sie hatte es verdient, nicht nur, weil sie 1991 für ihr „großartiges episches Schreiben“ den Nobelpreis erhalten hatte. Sie hatte mit ihren Büchern die Gegenwart Südafrikas in den Jahren der Apartheid wunderbar dargestellt. Man wusste damals nicht, dass sie 1964 an der einzigen Verteidigungsrede Nelson Mandelas vor seiner Verurteilung mitgewirkt hatte.
Wie schön wäre es gewesen, den 100. Geburtstag mit ihr zu feiern! Ich stelle mir die zierliche Gestalt vor, im Wohnzimmer mit den wunderbaren Originalgemälden berühmter Impressionisten und der Skulptur von Ernst Barlach. Eine Seitentür führt in den Garten, von dem aus man über Johannesburg blickt. Hier hätte sie an den warmen Novembertagen ihre Gäste empfangen können, sie war immer eine gute Gastgeberin. Leider sollte es nicht dazu kommen. Kurz bevor sie uns 13. Juli 2014 für immer verliess, hatte sie sich noch die Mühe gemacht, ein paar Zeilen für ein Gedenkbuch* für mich zu schreiben.
Ihre Kindheit und Ausbildung waren ungewöhnlich. Tochter eines russischen Juden und einer englischen Jüdin, wuchs sie nicht in einer jüdischen Atmosphäre auf. Lange Zeit besuchte sie auch nicht die für sie vorgesehene katholische Klosterschule, sondern wurde zu Hause von ihrer Mutter unterrichtet. Diese befürchtete offenbar, Nadines Herz sei zu schwach. Isoliert wie sie war, begann sie schon in jungen Jahren viel zu lesen und zu schreiben. Im Jahr 1937 veröffentlichte die Dreizehnjährige ihre ersten Erzählungen. Als ich sie kennenlernte, hatte sie gerade ihren ersten Erzählband veröffentlicht, der ihr weitere Türen öffnete.
Sie hatte gerade 1954 Reinhold Cassirer geheiratet, einen Geschäftsmann und Kunstliebhaber, Mitglied der wohlhabenden deutsch-jüdischen Familie Cassirer, zu der unter anderem der Philosoph Ernst Cassirer und der Kunsthändler Paul Cassirer gehörten. Zuvor war sie seit 1948/1952 mit Gerald Gavronsky verheiratet, dem Bruder der berühmten Helen Suzman, die 36 Jahre lang die Opposition im südafrikanischen Parlament vertrat, von 1961 bis 1974, davon 13 Jahre als einzige Oppositionelle der Regierungspartei.
Nach der Veröffentlichung ihres ersten Romans „The Lying Days“ gehörte Nadine ab den frühen 60er Jahren zu den bekannten literarischen und politischen Anti-Apartheid-Aktivistinnen.
Obwohl wir uns nach meiner Ausweisung aus Südafrika nur noch gelegentlich treffen konnten, korrespondierten wir weiter. Wir haben den Kontakt nie verloren, die Freundschaft ist geblieben.
Ich vermisse sie noch immer.
*in Ruth Weiss, Ein Leben für Freiheit und Frieden, 2014 – Nadine Gordimer „Furchtlos schrieb sie die Wahrheit“
*ein Nachwort von Nadine Gordimer findet sich ebenfalls in Ruths Autobiographie ‚Wege im harten Gras‘