von Ruth Weiss
Meistens vermeide ich es, in nostalgischen Erinnerungen zu schwelgen. Aber eine Dissertation von Prof. Tyler David Fleming aus dem Jahre 2009 über das südafrikanische Musical „King Kong“, der ich jüngst im Internet begegnet bin, setzte mich in die Vergangenheit zurück.
Können Sie sich eine abendliche Premiere während der Apartheid vorstellen, die so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Nelson und Winnie Mandela und den Chef des damals größten südafrikanischen Unternehmens Harry Oppenheimer und seine Frau Bridget anzog?
Mit einer anschließenden Party, die alle Regeln des berüchtigten Immorality Act brach, da gemischte Paare ausgiebig und öffentlich ihre Nähe genossen, zur Wut der Polizei?
Und doch hat es genauso stattgefunden! Und zwar am 2. Februar 1959, in der ‚interrassischen‘ Great Hall der Universität Witwatersrand in Johannesburg – Joburg!
Zu einer Zeit, als Mandela bereits einer der 156 Angeklagten und auch einer der Verteidiger im ersten Hochverratsprozess war, der dann 1961 mit dem Freispruch aller endete.
An jenem Abend war auch ich eine von mehr als tausend begeisterten Zuschauern aller Rassen, die vor Freude explodierten! Sie lieferten Ovationen und unzählige Vorhangrufe für das afrikanische Musical „King Kong“ mit seinem brillanten Komponisten Todd Matshikiza und einer großartigen, 63 Personen starken, rein afrikanischen Besetzung. Schließlich erschien der großartige Regisseur Leon Gluckman, nur um dann dem Publikum den Rücken zuzukehren und sich vor seiner schwarzen Besetzung zu verneigen. Ein wirklich bewegender Moment.
Darauf folgte eine unvergessliche ‚First Night Party‘, bei der gemischte Paare trotz des Aergers der Polizei ihre Zweisamkeit genossen. Die Premiere wie alle anderen Vorstellungen des Musicals waren ein grandioser Erfolg. Es gab ein beispielloses Rennen um Tickets in 5 Städten, das nur dadurch ein Ende fand, weil es nicht genügend ‚nicht rassistische‘ – also gemischt rassische – Veranstaltungsorte gab! Der Journalist des „Drum“ und Schriftsteller ‚Bloke‘ Modisane, der seine letzten Lebensjahre in Dortmund verbrachte, behauptete, er habe es zehn Mal gesehen.
Einer der Organisatoren sagte: „Die Bühne der Großen Halle explodierte mit Lebenslust. Die Entwürfe von Arthur Goldreich … haben sofort die Atmosphäre des Townships vermittelt. Die Energie der Besetzung war elektrisierend, die Musik abwechselnd verführerisch, berauschend und eindringlich.“
Die Premiere führte Weiße mit allem Drum und Dran ein in das schwarze Township-Leben. Brutale Gangster, gerissene Tsotis – junge Kriminelle – illegale Shebeens -Trinklokale – korrupte Polizei – sowie die Vitalität des Lebens und das Talent afrikanischer Musiker, Künstler und Schriftsteller. Das Stück sprach das Publikum über die Kluft der Apartheid hinweg an, die doch die Wurzel von allem war.
Es wurde ‚dargestellt‘, gespielt, gesungen, aber nicht offen angegriffen, was die grosse Anziehungskraft des Musicals ausmachte und die breite Öffentlichkeit wirklich erreichte. Wie Mona De Beer, eine der Texterinnen, sagte, spielten die Schauspieler nicht die Menschen der Townships – sie waren diese Personen mit den bekannten rettenden Faktoren in ihrem Leben: „Optimismus, Musik und der Fähigkeit zu lachen“.
Prof. Fleming erzählt in der Dissertation – auch in Saho nachzulesen – die Entstehungsgeschichte des Musikals. In der Hauptrolle war die den afrikanischen Zuschauern bereits bekannte Miriam Makeba***, perfekte Sängerin in der Rolle der „Joyce“. Sie hatte schon mit den Manhatten Brothers gesungen, die 20 Jahre lang das afrikanische Publikum im ganzen Land unterhalten hatten. Zwei der Manhattan Brothers waren die männlichen Hauptdarsteller als „King Kong“ und sein Rivale, der Gangster „Lucky“. Die beiden anderen Mitglieder schlossen sich Luckys Team an. Fünf Musiker bildeten den Kern des Orchesters. Drei „Jazz Dazzlers“ Kippie Moeketsi (Klarinette und Saxophon), Sol Klaaste (Klavier), Mackay Davashe (Saxophon) sowie zwei jüngere Mitglieder, Jonas Gwangwa (Posaune) und Hugh Masekela (Trompete).
Das Musical wurde möglich, da mehrere Teile eines Puzzles zusammen kamen. Kurz zuvor war eine schwarze Gewerkschaft südafrikanischer Künstler (USAA) gegründet worden. Zwei talentierte junge Männer, enge Freunde aus Kindertagen waren kürzlich von ihren Auslandsstudien zurückgekehrt, beide später sehr erfolgreich auf ihrem Gebiet: Leon Gluckman, Schauspieler und Regisseur und der klassische Musiker Stanley „Spike“ Glasser.
Sie reagierten sofort auf die Idee der drei Urheber – Anwalt und Schriftsteller Harry Bloom, Clive Mennel, Direktor des Bergbaukonzerns Anglovaal und Geschäftsmann Ian Bernhardt – die überzeugend darlegten, dass die Geschichte des Boxers „Dhlamini King Kong“ ein großartiges Musical werden könnte.
Das bringt mich zu etwas, das Prof. Fleming hervorgehoben hatte und ich damals als fast selbstverständlich ansah: alle fünf waren Juden. Wie der „Drum“-Autor Lewis Nkosi sagte: „Juden und Afrikaner machten Joburg „lebendig und aufnahmefähig wie keine andere Stadt im Land“. Juden waren in Kunst und Politik sowie in den Beziehungen zu Afrikanern überrepräsentiert. Und selbstverständlich hatten die Organisatoren ihre Verbindungen auch innerhalb ihrer Gemeinschaft, sodass auch beim Musical viele der weißen Teilnehmer jüdisch waren.
Dies schloss Autor, Bühnenbildner, Regisseur, Texter, Musikdirektor, Choreografen sowie viele Bühnenarbeiter ein. Gluckman sagte später, dass bis zu einem gewissen Grade auch etwas vom jüdischen Geist in die Produktion von King Kong eingedrungen sei. Bereits 1953 hatte er in einem Interview kommentiert:
„Es ist schwierig, in einem Land, in dem die grundlegende Gleichheit aller Menschen nicht anerkannt wird, spirituell zu existieren.“
Damit lehnte er die südafrikanische Ideologie der Rassensicherheit und -trennung ab – verständlicherweise auch aus der Sicht eines Juden. Doch am Ende war der Erfolg des Musicals das gemeinsame Bemühen aller Rassen und Religionen, vor allem eines:
eine große Leistung in den interrassischen Beziehungen in einem Land, dessen Regierung sich vorgenommen hatte, diese total zu zerstören.
Zuletzt hat das Ganze eine Brücke zwischen Rassen, Religionen und Politik geschlagen. Auch in der Gesellschaft bewirkte das Musical guten Willen und Zuspruch, trotz des politischen Gegenwinds.
Doch die Hoffnung der Geburt einer „Boheme“, einer selbstbewussten neuen Mittelklasse, wurde ein Jahr später durch das Sharpeville Massaker zerstört. Dies war der Beginn einer neuen brutalen Phase jener Zeit, die erst über drei Jahrzehnte später, nach unendlich viel Leid und unzähligen Opfern, im Februar 1990 endete.