Ein starkes Erinnerungsprojekt, das in der Schule weiterlebt und nicht nur ‚Miss Moore‘ inspirierte
In den frühen Jahren des 21sten Jahrhunderts reifte zu der Zeit, als Ruth Weiss sich Lüdinghausen niederliess, dort eine wichtige Idee zur Aufarbeitung der Nazizeit : Die Erforschung der Schicksale der jüdischen Familien, die dort heimisch gewesen waren. Ruth unterstützte diese Arbeit, die von Bärbel Zimmer begonnen, von Stadtrat und Zivilgesellschaft durch eine Aktionsgruppe getragen und auch von der Presse, durch eine Serie von Beiträgen in den Westfälischen Nachrichten beflügelt wurde. Ein Buch erschien dazu 2009 (das gedruckt leider vergriffen scheint). 28 Stolpersteine wurden in Lüdinghausen verlegt um der jüdischen MitbewohnerInnen zu gedenken, die vor wenigen Jahrzehnten unschuldige Opfer von Rassenhass, Massenmord und Verfolgung wurden.
Unten im Beitrag finden Sie die ausführliche Geschichte der Aktionsgruppe und ihrer Arbeit, mit Dank an Michael Kertelge.

Ruth Weiss wurde damals inspiriert, ihre Gedanken zur menschlichen Dimension von Stolpersteinprojekten in Romanform zu kleiden. Und natürlich wurde in der Folge dies eines der ersten Abenteuer ihres heimlichen ‚alter egos‘, der gewitzten betagten Detektivin im Unruhestand, Miss Moore. Ruth hat den Roman ‚Miss Moore und die Stolpersteine‘ der Aktionsgruppe Lüdinghausen gewidmet und sich gefreut, dass er zu ihrem 100sten Geburtstag endlich auch in Druckform erscheinen konnte.
Das Erinnerungsprojekt wiederum hat 2023 erneut Früchte getragen: SchülerInnen des St. Antonius Gymnasiums Lüdinghausen arbeiteten weiter an den Biografien dieser jüdischen Familien, vervollständigten die Archiveinträge und schafften es, ihre weiteren biografischen Erkenntnisse auf eine App hochzuladen, die vom WDR vor einigen Jahren zum gesamten Problemkreis Stolpersteine entwickelt wurde und samt Kartenwerk und Suchfunktionen zu 18139 Stolpersteinen in Nordrhein-Westfalen bereitgestellt wird. Das Unterfangen wurde von Unterrichtsmaterialien unterstützt, die ua. aus der Entwicklung der App entstanden sind und vom Land NRW gefördert werden.
Seit 2024 ist das Gymnasium unter den Mitgestaltern des Ruth Weiss Platzes in Lüdinghausen, der gemäss des Beschlusses des Stadtrats von Lüdinghausen ein ‚Offenes Klassenzimmer zum Thema Flucht und Vertreibung‘ werden soll.
Die Lüdinghauser Stolpersteingruppe und die Verlegung von 28 Stolpersteinen in den Jahren 2008 und 2009
Die treibende Kraft und die Inspiratorin des gesamten Prozesses war Bärbel Zimmer. Die damals in Lüdinghausen lebende Lehrerin an der Gesamtschule in Olfen, hatte früh Kontakt mit Überlebenden bzw. Angehörigen von Lüdinghauser jüdischen Familien.
Seit fast zehn Jahren recherchierte Bärbel Zimmer die „Finde-Geschichten“ zu den Lüdinghauser jüdischen Familien als die Idee zur Stolpersteinverlegung 2008 aufkam. Bärbel Zimmer sorgte mit ihren plastisch geschilderten und mit viel Fleiß recherchierten Hintergründen für die Blaupausen. Diese vielen Geschichten erschienen regelmäßig in der Lokalzeitung, den Westfälischen Nachrichten ab April 2008. Der damalige Chefredakteur, Josef Kersting, unterstützte die Initiative auf breiter Linie. Mit diesen Geschichten konnten die Menschen hinter den Stolpersteinen zum Leben erweckt werden. Um Bärbel Zimmer als Kristallisationskern bildete sich eine Gruppe aus interessierten Lüdinghauser Bürgerinnen und Bürgern. Dazu zählten neben dem Ehepaar Bärbel und Peter Zimmer, die Eheleute Anni und Josef Holtermann, der als Altbürgermeister über gute Kontakte verfügte. Dabei waren auch Elisabeth Kalker, deren Mann mit Robert Mainzer zur Schule gegangen war und Eberhard Bleich als Vorsitzender des Lüdinghauer Heimatvereins. Prominenteste Besetzung war die jüdische Schriftstellerin Ruth Weiss. Sie hatte sich aufgrund bereits sehr alter Kontakte nach Lüdinghausen noch aus Afrikazeiten entschlossen, Wohnung am Seeweg in Lüdinghausen zu nehmen. Ergänzt wurde dieser Kreis um Vertreter der beiden großen Kirchen: Stephan Kreutz, Pastor der evangelischen Kirchengemeinde und Pastoralreferent Michael Kertelge von der katholischen Kirchengemeinde St. Felizitas arbeiteten mit.
Diese Gruppe warb Spenden zur Finanzierung der Stolpersteinkosten ein. Sorgte für die nötige Kommunikation mit Stadt, Stadtbücherei, Stadtarchiv und besonders wichtig, den Nachkommen der Lüdinghauser jüdischen Familien, zum Teil in die ganze Welt verstreut, die es sich vielfach nicht nehmen ließen, persönlich bei der Stolpersteinverlegung dabei zu sein. Die von Bärbel Zimmer verfassten Geschichten zu den Lüdinghauser jüdischen Familien bildeten auch das Grundgerüst für das ab Mai 2009 in einer Auflage von 500 Stück herausgegebene Buch. Es hieß: Bärbel Zimmer: LÜDINGHAUSER STOLPERSTEINE: GEDENKEN AN DIE JÜDISCHEN FAMILIEN und erschien im lokalen Verlag Rademann, mit dem die Zusammenarbeit problemlos klappte. Ergänzt wurde das Buch um einen Aufsatz zur Lüdinghauser Pogromnacht von Michael Kertelge sowie einem Anhang mit Reaktionen der Jüdischen Familien im Nachgang der Verlegung. Das Layout besorgte in unvergleichlicher Weise die Grafikerin Heike Wittstamm, die mit viel persönlichem Herzblut ans Werk ging. Das Stolpersteinbuch war nicht nur Arbeit, sondern für sie auch bewusst gewähltes Thema.
Jeweils im Monat Juni, in den Jahren 2008 und 2009 wurden insgesamt 28 Stolpersteine unter großer Anteilnahme von Schulen und Zivilgesellschaft verlegt. Gunter Demnig, der Kölner Künstler hinter der Idee, war an beiden Aktionen vor Ort in Lüdinghausen beteiligt. Dank der Mithilfe einer liberalen Rabbinerin wurden auch jüdische religiöse Texte gesprochen und gebetet. So auch das jüdische Totengebet vor den Häusern, an denen die Steine verlegt wurden. Dabei half die Stadt Lüdinghausen bereitwillig. Dank der guten Kontakte auch zu den Fördervereinen der Lüdinghauser Schulen, war die Auflage von 500 Stück in kurzer Zeit vergriffen. Dazu trug auch bei, dass Dank eines mit Hilfe des Heimatvereins organisierten Druckkostenzuschusses vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe der Einzelpreis nur 10,-€ betrug. Inzwischen sind auch die Lüdinghauser Stolpersteine mittels der WDR-App erreichbar. Somit sind sie Teil von über 17.000 Stolpersteinen in ganz Nordrhein-Westfalen und Ausgangspunkt vieler Stolpersteinführungen mit Schulklassen.
Michael Kertelge, Lüdinghausen
