von Ruth Weiss
1994 strömten begeisterte Südafrikaner aller Gruppen, Überzeugungen und Hintergründe zu den ersten demokratischen Wahlen! Der Afrikanische Nationalkongress (gegründet 1912!) mit seinem Anführer, der Ikone Nelson Mandela an der Spitze, sollte mit einem dramatischen Sieg aus diesen Wahlen hervorgehen! Die 63 Prozent, die der ANC erreichte, kamen mit dem Versprechen eines besseren Lebens für alle, nachdem die nicht-weiße Mehrheit die weiße rassistische Minderheit besiegt hatte.
Dreißig Jahre später nimmt die Bevölkerung am 29. Mai erneut an demokratischen Wahlen teil. Doch dieses Mal wird erwartet, dass die ANC Regierung, dem Zorn des Volkes über die unbefriedigende soziale und wirtschaftliche Situation ausgesetzt, für ihre Misswirtschaft bestraft wird. Im Ergebnis könnte dies durchaus dazu führen, dass die einstigen Befreiungsbewegung ihren Platz als regierungsbildende Partei einbüsst.
Die Versprechungen, der Optimismus und die Hoffnungen von gestern sind der Verzweiflung gewichen, aufgrund der tief verwurzelten Korruption, des unzureichenden Wirtschaftswachstums und der schlechten Bildung, die zu hoher Arbeitslosigkeit und Armut unter den Afrikanern, der Mehrheit der Bevölkerung, geführt hat, während die weiße Bevölkerung meist einer Beschäftigung mit hohem Einkommen nachgeht. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist hier im weltweiten Vergleich am grössten, da die Wirtschaft seit 2011 rückläufig ist. Ein Drittel der Erwerbsbevölkerung ist arbeitslos, die höchste Rate in der Statistik aller von der Weltbank erfassten Länder.
Vor 1994 wurden den Afrikanern nur wenige Menschenrechte gewährt. Unterdrückt, ausgebeutet und gedemütigt, wurden sie auf bestimmte Gebiete beschränkt, ihnen wurde Landbesitz, Zugang zu guter Bildung, Ausbildung und Arbeit verweigert. Diese tiefe Ungerechtigkeit musste behoben werden. Der wichtigste politsche Vorstoß des ANC war das Broad-Based Black Economic Empowerment (BEE). Präsident Cyril Ramaphoshas hatte erklärt, er sehe das BEE Programm als „ein Muss“ für sein Land. Sein Wahlversprechen ist jetzt die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen.
Leider hat BEE bislang nicht die erforderliche umfassende Wiedergutmachung geliefert. Die hoch gesteckten Ziele wurden nicht erreicht.
Eine kleine Elite mit engen Netzwerkverbindungen hat sich auf Kosten der Mehrheit gut geschlagen. Nach wie vor liegt der Reichtum in den Händen einiger weniger. Die Politik hat es nicht wirklich geschafft, das Leben von Afrikanern oder anderen Nicht-Weißen zu verändern.
Der Ausgang dieser Wahlen zu einer Zeit so vieler ungelöster Probleme wird mit grösstem Interesse verfolgt.