Eine kurze Einführung in Geschichte und Gegenwart Südafrikas
Ruth Weiss Wir sind alle Südafrikaner
140 Seiten mit Kartenmaterial, Literaturhinweise und Fotos
E.B. Verlag Rissen, Hamburg, 1986
Ruth Weiss hat das Buch den Boykottfrauen‘ gewidmet. Das hier abgedruckte Vorwort zu diesem Buch bezeugt, wie sie damals wie heute in vielfältiger Weise dem Rassismus entgegentritt. Es liest sich wie ein Blog, der uns auch heute anekdotisch erinnern soll, wieviele Menschen die damalige Apartheidspropaganda unkritisch oder bewusst verharmlosend verbreitet haben.
Dies Werk bleibt lesenswert als Dokument der südafrikanischen Geschichte von den Anfängen der Kolonialisierung bis in die 80er Jahre der Apartheidsregierung.
Ruth Weiss – Wir sind alle Südafrikaner – Vorwort 1986
Anfang Dezember 1985 flog ich auf dem Weg von Harare, der Hauptstadt
Simbabwes, nach Frankfurt über Johannesburg. Der Zufall wollte es, dass
ich neben einem freundlichen, oder besser gesagt, höflichen Deutschen sass,
der mir erzählte, er wolle zu Weihnachten seine Mutter in Deutschland besuchen,
denn man wisse ja nie, wie lange… Ich fragte ihn, seit wann er in
Südafrika lebe. ,,Seit zehn lahren“, antwortete er, und dann beschrieb er mit
Begeisterung sein wunderschönes Haus in Northcliff, in einem der nördlichen
Vororte von Johannesburg. ,,….dort oben am Berg; ich weiss nicht, ob
Sie die Stadt kennen; die Aussicht ist einmalig – ich liebe dieses Land, verstehen
Sie, ich lebe seit zehn Jahren dort – ich weiss, in Deutschland hätte
ich kein so herrliches Leben.“
Ich entgegnete, dass nicht jeder dieses herrliche Land auf diese Weise geniessen
könne. “Da haben Sie Unrecht“, meinte er. “Ich weiss, man wird mir
viele Fragen stellen und mich angreifen. Aber ich habe mir einen Berg von
Zeitungsausschnitten mitgenommen – die Regierung will doch nur das Beste
für alle. Und ausserdem ist es schon lange nicht mehr so wie früher. Man
ist höflich zueinander; zu unserem Boten im Büro, der Tee macht und die
Post abfertigt, sagen wir immer ,bitte‘ und ,danke‘,…“
Ich fragte höflich weiter: ,,Was machen Sie in Südafrika?“ Etwas vorsichtiger,
durch meine scheinbar offene Missbilligung seines herrlichen Lebens
verunsichert, antwortete er: ,,Ich leite eine deutsche Firma. Sie müssen das
verstehen – weder die Firma, noch ich, sind auf Lebzeiten dort; wir sind
nur daran interessiert, unseren Gewinn zu machen.“
So einfach ist das. Ich schwieg. Er fuhr dann fort: ,,Aber – Sie müssen
doch zugeben, das Land gehört den Weissen. Sie waren zuerst da – ehe die
schwarzen Horden vom Norden kamen.“ Ich fühlte eine grosse Wut in mir
hochkommen und überlegte, ob ich mir einen anderen Platz suchen sollte.
Aber vielleicht wusste er es wirklich nicht besser! “So – die Weissen waren
zuerst da“, wiederholte ich. “Haben Sie sich mal überlegt, wo das Vieh herkam,
das die Neuankömmlinge am Kap der Stürme hielten? Die hatten
doch keine einzige Kuh auf ihren Schiffen mitgebracht.“
Er schwieg einen Augenblick. “Nein, ehrlich gesagt, die Frage ist mir nie
gekommen – aber das Vieh wurde doch den Hottentotten abgekauft, und
die hatten doch mit den anderen Schwarzen nichts zu tun. Ausserdem sind
die heute ausgestorben.“
Ich antwortete scharf: ,,Das stimmt nicht.“
Er sah mich erstaunt an. ,,Was soll das heissen?“
Ich sah mich wieder nach einem freien Platz um. “Diese Aussage gehört
zur Propaganda der südafrikanischen Regierung. Sie werden mir sicher
auch sagen, dass jeder Afrikaner in Siidafrika besser verdiene als in irgendeinem
anderen schwarz-afrikanischen Land.“ Er lächelte weiter freundlich.
,,Das ist doch nicht zu leugnen!“ Ich schüttelte den Kopf. ,Das ist zu leugnen,
weil es nicht stimmt, und wo es stimmt, gibt es gute Gründe dafür –
wie etwa in Mosambik.’
Darauf ging er sofort ein. „Ja genau. Haben Sie Laurenco Marques gekannt.
Was war das für eine herrliche Stadt – und nachdem die Weissen weg
Waren…„ Ich ergänzte ,,…und die Südafrikaner die Opposition mit Waffen
unterstützten … Wissen Sie, ich glaube nicht, dass wir uns einig werden können.
Sie leben in Ihrem hübschen Haus am Berg in Northcliff – wissen Sie
auch, wie Ihr Bote wohnt, zu dem Sie immer ,bitte‘ und ,danke‘ sagen?“
Er sah mich wehleidig an. ,,Sicher. Ich war einmal in Soweto, mit einem
Touristenbus; sonst kommt man dort nicht hin.“ “Wenn man will, schon –
Wissen Sie, dass in diesem Land, in dem Sie so schön leben, alle vier Minuten
ein Afrikaner festgenommen wird – wegen eines Passvergehens?“ Für
diese Art von Befragung hatte er sich gewappnet. “Weiss ich – schon vor
den augenblicklichen Unruhen war das so – aber das ist doch nichts anderes,
als wenn ein deutscher Autofahrer immer seinen Führerschein und andere
Papiere im Wagen haben muss.“ Ich sah ihn schweigend an, und er
meinte dann etwas verlegen, ,,na ia, vielleicht nicht ganz so, aber so ähnlich“,
und er fügte die letzte Beleidigung noch schnell hinzu: “Ubrigens sind
die das doch gewöhnt.“
Ich sah, dass kein anderer Platz frei war und vertiefte mich in meinen Krimi.
Beim Lesen störte mich der Gedanke, dass ich nun nie mehr erfahren
wiirde, was er gemeint hatte, ob ”die“ es gewohnt waren, ihren ”dompas“,
ihren Ausweis, bei sich zu haben – oder ins Gefängnis zu kommen?
Eine Fortführung des Gesprächs schien mir unmöglich zu sein, doch ich
nahm mir fest vor, so schnell wie möglich dieses kleine Buch fertig zu
schreiben, damit nicht jeder glauben muss: „Es war einmal ein menschenleeres
Land, in dem sich weisse Siedler niederliessen…“