Ruth Weiss und die 1000 Friedensfrauen – Nominierung für den Friedensnobelpreis 2005

Zusammen mit einem Netzwerk von 1000 Friedensfrauen aus aller Welt wurde Ruth, zusammen mit Seyran Ates, als Vertreterin Deutschlands für den Friedensnobelpreis 2005 vorgeschlagen.

»I always wish to ask you quietly: Do you know that we are secret sisters? You, the Congo’s dark-brown daughter, Europe’s pale Jewish child.«

Aus der Begründung

Ruth Weiss wurde 1924 in einer jüdischen Familie geboren. 1936 kommt sie mit ihrer Familie nach Südafrika und erlebt die Apartheid. Mit ihrer Schreibmaschine lehnt sie sich gegen das System auf, ruhig und entschlossen, in Südafrika, Zimbabwe, Zambia und Europa. Sierecherchiert, berichtet, gründet Freundschaften, nimmt an Projekten zur Überwindung des Rassismus teil. Ihre stärkste Fähigkeit: sie hört zu. Zuhören ist die Grundlage für Verstehen, Verständnis ebnet den Weg zur Versöhnung, ein Rezept für den Frieden weltweit. Ruth Weiss, Journalistin und Autorin, wandert ruhelos zwischen verschiedenen Welten und Kulturen in Afrika und Europa, ein lebendes Geschichtsbuch. Sie hat über ihr Lebengeschrieben in „Wege ins harte Gras“. Ihre Freundin Nadine Gordimer, die Literaturnobelpreisträgerin1991, schrieb in einem Nachwort zu den Motiven ihrer Autobiografie: “Ich weiß, dass sie nicht von Eitelkeit dazu getrieben wurde. Nichts liegt ihr ferner. Ich glaube, dass sie beim Blick auf ihr Leben gesehen hat, wie jeder, der ihr Buch liest, dass Schicksal, Unheil, der Zufall der Geburt und das Drama der Geschichte – wie immer man es nennt – ihr Leben zu einem Muster gewebt haben, das in besonderer Weise zu unserem Jahrhundertgehört, ein Stück Sozialgeschichte, das man nicht für sich behalten kann, sondern das niedergeschrieben werden muss für uns, ihre Zeitgenossen.“

Ruth mit ihrer Schwester Margot 1934 (Photo: Privat/cRWG)

Herkunft, Schicksal, Zufall der Geburt: Ruth Weiss wurde 1924 als Ruth Löwenthal ineiner jüdischen Familie in Fürth geboren. Obwohl sie zunächst eine behütete Kindheit hatte, wurde sie als Zehnjährige mit der bitteren Realität des Nazismus konfrontiert, die keinen Juden aussparte, ob orthodox oder liberal. Die Erfahrung dieser Zeit bestimmte ihr Leben. Auch wenn ihr Judentum während der Jahrzehnte in Afrika im Hintergrund stand, trat es später wieder in den Mittelpunkt. Sie beschäftigte dabei nicht die Frage vom „auserwählten Volk“, sondern warum Juden ständig verfolgt wurden. Das Buch „Der Judenweg“ beschreibt das fiktive Leben eines Juden, gemieden von der Gesellschaft nach dem Dreißigjährigen Krieg.

Das Drama der Geschichte: 1936 verlässt Ruth Weiss Deutschland und wandert nach Südafrika aus, wo die Familie sich in Johannesburg ansiedelt. Ihre Eltern betreiben einen Gemischtwarenladen. Ruth geht weiter auf die Schule. Früh erkennt sie, dass Südafrika ein zutiefst gespaltenes Land ist. Schwarze Arbeiter wurden von der weißen Minderheit langeausgebeutet, durch zahlreiche Gesetze und Regeln gab es eine tief verwurzelte Diskriminierung. Die schwarze entrechtete Opposition wurde verbannt, besonders der 1912gegründete Afrikanische Nationalkongress (ANC). Er wurde nach 1960 gezwungen, in den Untergrund zu gehen. 1948 wurde Apartheid legalisiert und zur tödlichen Ideologie der weißen Regierung für vier lange Jahrzehnte. Als junge Frau hatte Ruth Weiss verschiedene Jobs, bevor sie Wirtschaftsjournalistin wurde. Zuerst arbeitete sie für Medien in Südafrika und Südrhodesien, später für den „Guardian“ in London, bevor sie nach Zambia zurück kehrte als Korrespondentin der „Financial Times“ und Wirtschaftsredakteurin der „Times of Zambia“. Bald wurde sie in ihrem Metier eine anerkannte Autorität. Kompromisslos schrieb sie nicht nur über die wirtschaftliche Situation im südlichen Afrika, sondern auch einschließlich politischer und sozialer Aspekte, und bekam schnell Probleme mit den Mächtigen. Sie stand unter dem begründeten Verdacht, gemeinsame Sache mit den unterdrückten Schwarzen zu machen. 1968 wurde sie zur „persona non grata“ in Südrhodesien erklärt, wo sie damals arbeitete. In der Folge setzte auch Südafrika sie auf die schwarze Liste und verweigerte ihr die Wiedereinreise Auch die portugiesische Kolonialmacht in Mosambik schloss sie aus.3Während der nächsten 25 Jahre führte Ruth Weiss mit ihrem Sohn ein ruheloses Leben in verschiedenen Ländern: in Großbritannien, Zambia und Deutschland, wo sie in Köln in der Afrika-Redaktion der Deutschen Welle tätig war, nach 1980 dann in Zimbabwe. Neben dem Schreiben engagierte sie sich dort auch in der Journalistenausbildung.

Sie gab ihr Wissen weiter, organisierte Medien-Seminare und bildete Wirtschaftsjournalisten aus. Im Laufe ihrer ruhigen, aber beständigen Arbeit wurde Ruth Weiss „eine scharfsinnige und hoch geschätzte Vermittlerin afrikanischen Denkens, von Zielen und Strategien, und eine Freundin vieler schwarzer Führer und – vielleicht noch wichtiger – einfacher Menschen.“ (Nadine Gordimer).Es schien, als ob sie für ewig lernen würde, ihre verschiedenen Erfahrungsstränge zu verknüpfen. Dabei hilft ihr ihre Fähigkeit zuzuhören und das ausgeprägte, ernsthafte Interesse an den Menschen, denen sie begegnet. Diese Frau hat seit ihrer Kindheit Geschichten erlebt und gehört, die sie in ihrem phänomenalen Gedächtnis gespeichert hat, die sie jederzeit erinnern und in Verbindung setzen kann. Dieses Netz an Geschichten handelt von menschlichen Konflikten und der drängenden Lehre, dass Menschen in Frieden miteinanderleben müssen als gleichberechtigte. Ruth Weiss sagt: “Das Leben ist ein nie endender Lernprozess. Ich habe gelernt, dass Menschen unterschiedlich sind, aber gleichberechtigt. Ich habe gelernt, dass diese Rechte verteidigt werden müssen. Das heißt, dass die kulturelle Vielfalt akzeptiert und geachtet werden muss, damit Menschen verschiedener Kulturen inHarmonie miteinander leben können.“ Viele Bausteine gehören zu einer Konfliktlösung.

Zisa, Cold Comfort Farm
Cold Comfort Farm. Hinter den Bäumen wurde Geschichte geschrieben

So hat Ruth Weiss zwischen 1988 und 1993 mit Dr. Helmut Orbon, Moeletsi Mbeki (dem jüngeren Bruder des südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki (199-2008) und anderen das Zimbabwe Institute für das südliche Afrika (ZISA) auf der Cold Comfort Farm begründet und entwickelt. Das Institut hat es Mitgliedern der Befreiungsbewegungen und weißen Südafrikanern – Frauen, Juristen, Wirtschaftsleuten und anderen – ermöglicht, sich heimlich und sicher zu treffen, um den Weg zu ebnen für ein friedliches Ende der Apartheid. Niemand hatte sich vor Ende der 80-er Jahre vorstellen können, dass dies so schnell gelingt. Das ZISA Institut führte unmittelbar zu den Verfassungsänderungen, die 1994 die demokratische Regierung ermöglichten. Die Zeitschrift „Entwicklungspolitik“ schrieb: „ZISA ist ein Modell für erfolgreiche Konfliktlösung und Krisenprävention – Themen, über die viel geredet wird, aber bei denen sonst selten Erfolge erzielt werden.“ (siehe unsere Seite zu ZISA) Wenige Jahre später hat dieses Projekt Ruth Weiss zur Auseinandersetzung mit dem Nordirland-Konflikt geführt. Über drei Jahre hat sie regelmäßig Irland besucht und die Situation im südlichen Afrika mit Nordirland in einer Studie verglichen, veröffentlicht unter dem Titel: „Peace in Their Time“ (Frieden zu seiner Zeit). Darin werden die Ereignisse beschrieben, die zum Karfreitag-Abkommen 1997 in Belfast geführt haben. Obwohl Ruth Weiss im Alter nach Europa zurück kehrte, blieb Afrika in ihrem Herzen. Das wird deutlich ineiner Vielzahl ihrer Bücher mit afrikanischen Themen: Frauen von Zimbabwe, Mandelas zornige Erben, Meine Schwester Sara, das Kinderbuch Feresia und die Biografie von Sir Garfield Todd, um nur einige zu nennen. Heute findet Ruth Weiss ihre Besuche an deutschen Schulen sehr interessant, wo sie eingeladen wird, über afrikanische Themen zu reden, aber auch über ihr Leben. Das sieht sie unter dem Motto: „Kreise schließen sich.“ (Closing Circles). Ihrer Autobiografie hat sie ein Gedicht von Moscha Kaléko voran gestellt:

Ruth Weiss mit Sally Mugabe 1982 (Photo: RWG)

 »I always wish to ask you quietly: Do you know that we are secret sisters? You, the Congo’s dark-brown daughter, Europe’s pale Jewish child.«