von Ruth Weiss
Als ich in diesen pandemischen Zeiten über Gesundheitssysteme nachdachte und deswegen googelte, stolperte ich über einen Artikel von Alexa R. Shipman mit dem Titel „ Das Deutsche Experiment: Gesundheitspflege ohne Frauen und jüdische Ärzte.“*
Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich etwas wüsste über die Nazis und ihre Einstellung zu Frauen. Zum Beispiel, dass ihr idealistisches Frauenbild das einer arischen gesunden schlanken Blondine war, ergeben den drei Ks: Küche, Kinder, Kirche – und ihrem Mann, dem sie Unterstützung war und dem sie viele Kinder gebar.
Frauen „von ihrer Emanzipation befreit“
Doch Einzelheiten, die Frau Dr. Shipman erwähnte bewiesen mir, das ich eben vieles wieder einmal nicht so genau wusste wie gedacht. Oder vergessen hatte? Schließlich hatte Josef Goebbels 1933 versprochen, die Frau “von ihrer Emanzipation zu befreien”. Was bedeutete, dass Frauen sofort von ihren Posten als Rechtsanwältin, Beamtin und anderen professionellen Anstellungen entlassen wurden. Mädchen erhielten ein anderes Schulprogramm wie Jungen, da sie aus verantwortungsvollen Posten (mit einigen Ausnahmen) vor allem in Politik und Akademia, ausgeschlossen waren.
Frauenwahlrecht stillschweigend ausgesetzt
Die NSDAP war eine Männerpartei in der Frauen von der Parteiführung oder leitenden Posten in Komitees ausgeschlossen waren. Wie Heinrich Himmler erklärte, ein Mann entschied alles mit dem Kopf, eine Frau mit dem Gefühl. Diese Partei hatte auch während der Weimarer Zeit nie eine Kandidatin zu Wahlen aufgestellt. Nach der Reichstagswahl im März 1933 fiel die Anzahl Frauen im Reichstag von 37 auf Null von 577 Parlamentariern. Das bedeutete das Frauenwahlrecht wurde passiv, es wurde stillschweigend ausgesetzt. Goebbels fand das berechtigt: man musste Männern überlassen was dem Mann zustand.
Nicht nur im Gesundheitswesen – Professionelle Frauen und Juden unerwünscht
Laut Dr. Shipman gab es 1933 4,367 Ärztinnen, 587 von diesen Jüdinnen. Gemäss der Definition der 1936 mit dem schrecklichen Beinamen ‘Blutschutzgesetze’ erlassenen ‘Nürnberger Gesetze’ waren 15% der praktischen Ärzte Juden.
Die Gesetze und Hitlers Programme des “sozialen Darwinismus” und “rassischer Hygiene” führten zur Entlassung jüdischer und weiblicher Ärzte. Letztere durften bei Geburten helfen, während kein jüdischer Arzt als solcher zugelassen wurde. Jüdische Wissenschaftler und Forscher durften nicht mehr an Universitäten lehren. Viele emigrierten, andere wurden während des Holocaust ermordet. Engagierte Forscher wie etwa Prof. Dr. Peter Voswinckel haben ihre Schicksale erforscht (vgl. mein Blog Späte Herausgabe gestohlenen Gutes? )
Im Jahr 1936 wurde auch Frauen untersagt, Medizin zu studieren oder auszuüben. Und im Justizsystem fand man sie nur noch als Büropersonal – sie durften keine Staatsanwälte oder Richter sein, ja nicht einmal mehr Geschworene. Im darauffolgenden Jahr wurde es Frauen verboten an der Uni zu lehren – abgesehen von 1% im sozialen Bereich.
Propaganda überspielt die negativen Folgen der Diskriminierung
Der Verlust einer hohen Anzahl erfahrener, guter Mediziner und Akademiker durch Diskrimination in Recht und Praxis führte zum Verfall der deutschen Gesundheitspflege, auch wenn sie öffentlich schöngeredet wurde. Shipman sagt: “Die Verdopplung der Sterblichkeitsrate noch vor Kriegsanfang in Deutschland, als angeblich das Leben unter Hitler florierte (d h das der Arier), belegt, dass entgegen der Propaganda (vom gesunden Reich) die Wirklichkeit anders aussah, durch den Entzug erfahrener Ärzte aus dem Gesundheitssystem.“ Noch 1952 zeigen Statistiken eine Müttersterblichkeit bei der Geburt von 184 pro 100,000 verglichen mit Großbritannien (67 per 100,000) und Vereinigte Staaten (68 pro 100,000) im selben Jahr, ein Hinweis darauf, dass sich das deutsche Gesundheitswesen selbst zu diesem Zeitpunkt noch nicht erholt hatte.
All dies ist befremdend angesichts der Tatsache, dass mehrere einflussreiche Damen der oberen Gesellschaft in den frühen 30er Jahren mithalfen, Hitler den Aufstieg zu ermöglichen. Frauen wählten auch zunehmend die NSDAP in den Jahren 1930–1932 und spornten ihre Männer an, der Partei beizutreten. Bereits im Lauf der 20er Jahre wurde gesagt, Frauen himmelten Hitler an. Sein Junggesellenstand schien ein Vorteil, Frauen sahen ihn als das Vorbild eines männlichen Mannes. Kein Zufall, dass er erst kurz vor seinem Tod heiratete.
Frauen in der Opferrolle?
Eine Weile wurden also deutsche Frauen als unterdrückt und als Opfer der Frauenfeindlichkeit unter den Nazis angesehen. Doch ist dies nicht die ganze Wahrheit: Frauen wurden legitim und willig in die Nazistrukturen und die Volksgemeinschaft eingebunden, laut jüngsten Forschungen. Die US Historikerin Wendy Lower erklärte, deutsche Frauen (39 Millionen im Jahr 1939) sahen sich nicht in der Opferrolle. Ein Drittel – 13 Millionen – waren aktive NSDAP Mitglieder, eine Anzahl die jährlich bis Kriegsende sogar anstieg. Die Rolle der Frau werde allgemein unterschätzt, mehr noch in diesem Fall, da rechtliche und moralische Aspekte betroffen seien. “Die Rolle der Frauen (in der Nazizeit) ist nicht ausführlich erforscht oder geklärt worden. Die erhebliche Anzahl der Frauen die am Holocaust beteiligt waren ist noch nicht im Zusammenhang mit den Verbrechen des Dritten Reichs offen gelegt worden.**
Derartige Teilnahme schließt nicht nur die Aufseherinnen in KZs ein, die benötigt wurden, da Männer für den Kampf eingesetzt waren, sondern auch die ebenfalls große Anzahl Frauen in anderen Funktionen – wie etwa als Sekretärinnen, die Befehle und Telegramme tippten, Telefonate entgegen nahmen und wussten was diese bedeuteten, jedoch alles vielfach ohne Hinterfragen, Anteilnahme oder gar Protest hinnahmen.
Ich brauche nicht zu sagen, dass ich den Widerstand von etlichen einzelnen oder kleinen Gruppen von Frauen in jener Zeit hochschätze und bewundere – wie etwa die Zivilcourage der Sophie Scholl. Auch bin ich mir sehr bewusst, dass etwas über die Hälfte der Namen auf Yad Vashems Liste der Gerechten unter den Völkern Namen solcher mutigen Frauen sind.
*International Journal of Women’s Dermatology, Volume 3, Issue 1, Supplement, March 2017, Pages S18-S20
** Wendy Lower, Hitler’s Furies: German Women in the Nazi Killing Fields. (London: Vintage, 2014.) p. 11