Späte Herausgabe gestohlenen Gutes?

Enteignung jüdischen Gedankenguts im Nationalsozialismus

von Ruth Weiss

Die ‚Arisierung‘ in der Nazizeit machte auch vor geistigem Gut keinen Halt.

Ich verdanke dem Medizinhistoriker Prof. Dr. Peter Voswinckel die Zusendung des “Zeit“ Artikels vom 10. Dezember 2020 „Geraubte Bücher“  von Karina Urbach, die unter anderem Voswinckel’s Aufdeckung von Fällen eklantanten Diebstahls intellektuellen Eigentums im Namen der Arisierung von Verlagen in der Nazizeit beschreibt. Es wird erwähnt, wie Voswinckel „in mühevoller Kleinarbeit“ die Geschichte des jüdischen Arzts Dr. Josef Löbel erforschte, Herausgeber des bekannten ‚Knaurs Gesundheitslexikons‘ seit 1930.

>>P. Voswinckel über J.Löbel: Ein heiterer Aufklärer, dem alles genommen wurde.

Löbel war eine herausragende Figur als in Wien ansässiger Arzt, Schriftsteller und Journalist, berühmt dank seiner „brillanten, witzigen Artikel“ und der in 16 Sprachen übersetzten medizinischen Bestseller. Der regimefreundliche Verlag C.H. Beck der u.a.  von der Arisierung und Uebernahme des Verlags des deutsch-jüdischen Otto Liebmann profitiert hatte, führte das noch heute bekannte Werk ab 1938 in seinem Katalog mit dem Namen des Herausgebers Peter Hiron, hinter dem sich der Arzt Herbert Volkmann versteckte. Dieser beeilte sich, dem Gesundheitslexikon weitere Einträge hinzuzufügen, etwa über Rasse, Homosexualität, Haftpsychosen, Grössenwahn (?!).

Der Herr hatte sich bereits Bücher anderer jüdischer Experten ‚angeeignet‘ wie die des Dr. Walter Guttmann. Peter Voswinkel fand heraus, dass Guttmann die Autorenrechte an seinem Werk „Medizinische Terminologie“  mit der 29. Auflage entzogen wurden.

Diese Diebstähle führten zu Tragödien.

Beide Betroffenen – Löbel und Guttmann – verübten Selbstmord. Löbel hatte übernacht nach dem „Anschluss“ österreichs an Nazideutschland alles verloren, und beging 1942 Selbstmord in Prag, nachdem auch seine Frau deportiert wurde. Der mittellose Dr.Guttmann nahm sich 1941 in Berlin das Leben.

Die Grossmutter der Zeit-Autorin Karina Urbach hat nach ihrer Flucht aus Wien in London überlebt. Alice Urbach war die Verfasserin des Bestsellers „So kocht man in Wien“, der ebenfalls vom Münchner Verlag prompt nach dem „Anschluss“ einen neuen ‚Verfasser‘ namens Rudolf Rösch erhalten hatte. Der änderte  fleißig jüdische Rezeptnamen wie »Omelette Rothschild« und tilgte Alice Urbachs „feministisch angehauchte Passagen“.

Nazi-Unrecht überleben – keine Gewähr für Wiedergutmachung

Nicht alle Werke jüdischer Autoren erhielten später ihren wirklichen Verfassernamen wieder  –  und auch nicht jeder Autor die Tantiemen, denn etliche Verlage argumentieren, ihre Verträge seien rechtmäßig beeendet worden und die neuen Bearbeitungen hätten mit dem Orginal nichts zu tun. Eine solche respektlose Antwort hatte auch Alice Urbach nach dem Krieg von ‚ihrem‘ Verleger in München erhalten, bevor ihre Enkelin ihr sieben Jahrzehnte später Recht verschaffte. Sie beschämte den Verlag durch die Enthüllung der Geschehnisse –  ‚So kocht man in Wien‘ hat nun wieder seine Originalverfasserin.

Eine Fußnote: Ich begegnete Peter Voswinckel in den 80er Jahren als ich meine liebe Freundin Dr. Anne Alexander begleitete, die ihn mit den Memoiren ihres  Vaters, eines Arztes,  im Aachener Institut für medizinische Geschichte aufsuchte. Darüber schrieb ich damals eine >>Kurzgeschichte (zu finden im Band meiner ‚Reise nach Gaborone‘) die viele Jahre später zu unserem erneuten Kontakt führte.